“Wie versuchte Memphis konkret eine Rückbesinnung auf die Sinnlichkeit zu erwirken?
(Auszug aus der Hausarbeit: Memphis. Zurück zur Sinnlichkeit. September 2015)
Auf den ersten Blick mögen die Möbel von Memphis wie überdimensionierte, in Träumen erdachte Objekte aus dem Kinderzimmer wirken. Wenn man die Gestaltungsprinzipien jedoch genauer betrachtet, kann durchaus ein darunter liegendes System erkannt werden. Durch Verwendung von produktsprachlichem Material aus den unterschiedlichsten Hintergründen von der Mailänder Vorstadt bis hin zu alten Zivilisationen wie den Sumerern und entfernten Gegenden wie Java, verwendet Memphis vor allem Material, welches weit außerhalb des Fokus’ der Öffentlichkeit liegt und somit nicht bereits mit Assoziationen beladen ist. Dadurch, dass die Produktsprache von Memphis nicht mit für den Betrachter und Benutzer bekannten Assoziationen beladen ist, soll der Weg freigemacht werden, das Objekt nicht rein über den Verstand aufzunehmen und dabei in seine bedeutungsspezifischen Einzelteile zu zerlegen, sondern vielmehr auf dem direkteren, sinnlichen Weg zu erfahren. Denn um etwas wirklich Neues zu erschaffen, müsse man sich von dem bestehenden System befreien, anstatt dieses durch Verwendung der existierenden Vokabeln fortzuführen. Dies ermögliche dem Betrachter oder dem Besitzer des Objekts in Resonanz mit dem Gegenstand zu kommen, was vormals bei dem Design der Moderne nicht möglich gewesen war. Nach Memphis sei alles, was sichtbar ist und mit dem Kopf aufgenommen werden kann entweder Konstruktion, Produktion oder Funktion und somit in der Fähigkeit zu kommunizieren limitiert.
Der beinahe schon anarchistische Gebrauch von unvorhergesehenen Referenzen, Mustern und neuen Materialien erzeugt ein komplexes Kommunikationssystem seitens der Möbel. Das Designobjekt selbst wird zu dem Erzähler einer Geschichte, von Form, Oberfläche, Mustern und Farben, die scheinbar beliebig kombiniert sind.
Farbigkeit wird hier anders als im funktionalistischen Design begriffen. Farben unterstreichen bei Memphis keine Ideologien oder Konstruktionen, sondern werden als Ausdrucksmittel verwendet, oft in provokativer Art und Weise. Die Farbverwendung aktiviere die Sehnerven und eröffne neue Möglichkeiten der Wahrnehmung. Sie bewege den Betrachter zum Bekenntnis zu dieser. Der große Unterschied zu den vorangegangenen Designbewegungen ist hier, dass die Farbe bei Memphis nicht nur eine Nebenrolle in der Gestaltung spielt, sondern einen maßgeblichen Teil des Objekts ausmacht.[4] Die Farbe wird hierbei als wichtiger Teil eines Volumens oder einer Form gebraucht. Ähnlich wie bei der Verwendung von Referenzen, die nicht mit gesellschaftlicher Bedeutung aufgeladen sind, wirken die Farben bei Memphis nicht durch ein kodiertes Farbsystem, sondern unmittelbar durch ihre pure Präsenz, wie in der Kunst des Ostens.
Seit seiner ersten Indienreise im Jahre 1961 war Sottsass inspiriert von der Weise, wie Objekte dort in einem rituellen Kontext fernab vom Konzept des westlichen Konsums verwendet wurden. Die Reise nach Indien öffnete Sottsass’ Blick für die kulturelle Rolle des Objekts, welche den Benutzer zur Reflexion animieren könne. Diese Eindrücke waren Sottsass Wunsch zuträglich, eine Designsprache zu erschaffen, deren vornehmlicher Sinn und Zweck es nicht war einen sozialen Status zu manifestieren. Vielmehr wollte er, dass der Benutzer durch Kontemplation mit dem Objekt interagiere und eine konsumbasierte, sondern mehr rituelle, wertschätzende Beziehung zu dem Objekt aufbaue. Ein maßgeblicher Grund Sottsass’ Faszination der indischen Kultur war, dass dort das Konzept des Lebens nicht wie im Katholizismus zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen aufgeteilt war, sondern dass der Geist sich aus der Substanz ergebe und dass die Substanz sich durch den Geist forme. Daraus leitete er die unbedingte Notwendigkeit ab, auf Basis des Materiellen zu arbeiten und Objekte zu entwerfen, die idealerweise mit den Menschen direkt kommunizieren würden.
Nach Memphis muss in einer Welt, in der sich alles um den Konsum dreht, alles sehr schnell passieren, da das nächste zu konsumierende Objekt schon bereit steht. Ein Ausweg aus dieser Rastlosigkeit seien Rituale, die dem täglichen Leben Struktur und Raum zu Innehalten ermöglichen. Diese hätten stark an Bedeutung verloren, seien jedoch immer noch von großer Bedeutung und Wichtigkeit für das tägliche Leben. Konkret versuchte Memphis also durch die Verwendung von fremden produktsprachlichen Material und Farben eine rituelle Beziehung zwischen dem Menschen und dem Objekt zu etablieren und dadurch eine Rückbesinnung auf die Sinnlichkeit zu bewirken.”